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Unstimmigkeiten
aus

»Also nochmal«, nahm ich unser Gespräch durchs Dorf nach einer kurzen Pause erneut auf. »In der Kirche hängt ein merkwürdiges Gemälde. Vor meinem Eintritt ins Kloster war ich überhaupt nicht religiös. Meine Eltern legten während meiner Erziehung keinen Wert darauf. Wir gingen nur zur Kirche, wenn dort jemand aus dem Verwandten- oder Freundeskreis heiratete. Einmal war ich auch bei einer Taufe dabei. Dennoch bekam ich mit, dass die Christen zu einem Gott beten. Und in der religiösen Unterweisung im Kloster ging es auch immer nur um einen Gott. Ich meine, einen einzigen Gott, nicht mehrere Götter.«
     »Und wo ist nun das Problem?«, fragte Pater Edmund, als ich eine Pause einlegte.
     »Auf dem Bild in der Kirche wird die Taufe Jesu dargestellt. Sie, Pardon Du, wirst es ja gleich sehen. Da steht Jesus bis zu den Knöcheln im Wasser. Neben ihm auf dem nahen Ufer steht ein Mann, der ihm aus einer winzigen Schale etwas Wasser auf den Kopf träufelt. Das soll offenbar Johannes der Täufer sein. Und nun kommts, über Jesus, aber noch unter den Wolken, schwebt eine Taube mit ausgebreiteten Flügeln. Der Heilige Geist. Über der Taube der bewölkte Himmel mit einer großen Lücke darin. Aus jener Öffnung zwischen den Wolken schaut ein gütig herabblickender Mann mit weißem Bart und ausgebreiteten Armen auf die Taufzeremonie. Die Köpfe aller drei Personen und der der Taube ziert ein Heiligenschein. Im Kloster hieß es, Jesus ist Gott und Gottvater ist Jesus. Wieso werden dann Jesus und Gottvater auf dem Gemälde als zwei verschiedene Personen dargestellt?«
     »Es gibt auch an anderen Orten derartige Darstellungen«, antwortete Pater Edmund. »Darin steckt eine Menge künstlerische Freiheit. Der Maler war ja nicht dabei, als Jesus getauft wurde. Über die Taufe Jesu stehen nur wenige Zeilen in der Bibel. Aus jenen knappen Worten hat der Künstler geschöpft und seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Kein Grund zur Beunruhigung. Es gibt nur einen Gott. Religiöse Gemälde in Kirchen bilden nicht die Wirklichkeit ab. Darin werden Ideen und Symbole verarbeitet. Auf die Leinwand wurde Farbe aufgetragen. Zum Beispiel der Heiligenschein. Ein Ring oder eine leuchtende Scheibe hinter oder über dem Kopf einer Person. Hat es den Heiligenschein jemals gegeben? Nein. In der Bibel wird er nicht beschrieben. Er ist ein Symbol zur Kenntlichmachung, dass es sich um die Darstellung heiliger Menschen oder Gott selber handelt. Die Symbole zu verstehen, muss man lernen. Ein kleines Kind weiß nicht, was der Heiligenschein bedeutet. Es fragte und wird belehrt. Von da ab weiß das Kind Bescheid und erkennt auf jedem Bild die Heiligen. Um herauszufinden, welcher Heilige dargestellt ist, muss man die übrigen Symbole in der Szene deuten. Wenn da zum Beispiel ein Mann mit einem riesigen Schlüssel abgebildet ist, weiß der gut informierte Christ, das ist Petrus. Warum? Weil Jesus dem Petrus Schlüsselvollmacht im Priestertum übertrug. Der Schlüssel steht symbolisch für jenen Vorgang. Und so gibt es viele weitere Symbole.«
     »Wenn die Gemälde nicht die wahre christliche Lehre darstellen«, fragte ich. »Warum hängt man dann überhaupt Gemälde in der Kirche auf?«
     »Um an die Ereignisse zu erinnern, von denen in der Bibel zu lesen ist«, antwortete Pater Edmund. »Und bedenke bitte, viele der heute immer noch stehenden Kirchen wurden zu einer Zeit erbaut, als nicht jeder lesen und schreiben konnte. Damit das gesprochene Wort der Predigt besser im Gedächtnis bleibt, schmückte man Gebäude mit Bildern und Skulpturen aus. Das Verfahren wird auch heute immer noch angewendet. Denke bitte an Schulen und Ausbildungsstätten. Es gibt kaum einen Unterweisungsraum, in dem nicht ein Projektor steht, mit dem Bilder und Filme auf eine Leinwand geworfen werden. Stellen die Bilder die Wirklichkeit dar? Nein. Es sind Lichtpunkte verschiedener Helligkeit auf einer weißen Wand.«
     Wir näherten uns der Kirche und betraten sie. Schweigend führte ich den Pater zu dem angesprochenen Bild an der rechten Seitenwand. Still standen wir eine Minute nebeneinander davor und betrachteten es.
     »Lass uns beten und meditieren«, flüsterte Pater Edmund und schritt zu den Bänken. Ich folgte ihm und kniete mich ebenfalls für einige Minuten hin. Dann setzte er sich und verharrte mit gesenktem Haupt. Ich tat es ihm gleich und dachte über seine Belehrung nach ...

     Vor dem Kirchenportal nahm ich unser Gespräch wieder auf. »Das Gemälde verleitete mich dazu, in der Bibel nachzulesen, wie das damals war mit der Taufe Jesu«, begann ich. »Es werden eindeutig drei göttliche Geschöpfe genannt: Jesus, der Heilige Geist wie eine Taube herabkommend, also keine wirklich Taube, und eine Stimme sprach vom Himmel, die sagte: ‚Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.‘ Hat Gott da dann selber zu sich gesprochen? Sich selber gelobt? Wenn, wie du gesagt hast Gott Jesus und Jesus Gott ist, warum dann jenes Theater?«
     Pater Edmund blieb stehen und sah mich entrüstet an. »Bruder Lazarus, das ist doch kein Theater. So einfach dürfen wir uns das nicht machen! Über die Frage haben sich schon wesentlich klügere Geister den Kopf zerbrochen. Vor ein paar hundert Jahren gab es sogar einen heftigen Streit darüber, ob es mehrere Götter im Himmel gibt. Im ersten Konzil von Nicäa, 325 n.Chr., hat man bereits darüber diskutiert und gestritten. Heraus kam die Trinität, auch bekannt als Dreifaltigkeit. Damit wird die Wesenseinheit Gottes in drei Personen benannt. Gott, der Vater, Jesus, der Sohn und der Heilige Geist. Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich um drei Körper handelt. Denn Gott ist Geist. Sonst könnte er nicht überall sein. Verstanden?«
     Mir lag ein Nein auf den Lippen. Doch ich unterdrückte es. Stattdessen sagte ich: »Im Internet las ich, dass es Christen gibt, die die Dreifaltigkeit ablehnen und von drei unterschiedlichen Göttern sprechen. Es seien drei getrennte göttliche Persönlichkeiten, die allerdings in ihren Absichten, Zielen und Werken vollkommen einig sind.«
     »Vergiss es«, sagte Pater Edmund barsch. »Das sind kleine Sektierergruppen ohne jede Bedeutung. Sie laufen einer Irrlehre nach. Im Konzil von Nicäa gab es eine eindeutige Mehrheit für die Dreifaltigkeit, die bis heute in aller Regel von der Christenheit anerkannt wird. Kein Papst hat je daran gerüttelt. Nicht einmal der abtrünnige Mönch namens Luther. Dreifaltigkeit heißt, dass Gott in drei Seinsweisen existiert: als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Also nicht drei Personen, sondern eine. Es gibt nur einen Gott.«
     Den Rest des Weges zur Villa legten wir schweigend zurück. Pater Edmunds Begründung befriedigte mich nicht. Person und Seinsweisen, wo war der Unterschied? Mir kam der Gedanke, ihn weiterhin mit theologischen Fragen zu löchern. Vielleicht könnte ich ihn auf diese Weise loswerden. Gleich nach dem Mittagessen würde ich erneut beginnen.

...




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Leserstimmen:
»Also ich habe einen halben Tag und die Nacht zum Lesen gebraucht. Ich konnte nicht aufhalten. Unter welcher Kategorie lebt dieses Buch, ich meine ‚Liebeskrimiroman‘. Du hast es spannend, romatisch und mit Überraschungen gefüllt, also sehr gut gelungen.«
- Marianne Schmidt, 14. Jan. 2021

„... habe deinen spannenden Krimi fertig gelesen. Hat mir sehr gut gefallen.“
- Martina Mooren-Schneider, 13. November 2020

„Den Roman habe ich innerhalb von drei Tagen komplett von der ersten bis zur letzten Seite gelesen. Fand ihn echt gut, unterhaltsam und spannend.“
- Iris Halder, 29. Oktober 2020

„Ich konnte das Buch nicht mehr weglegen ... der beste Staubach, den ich bisher gelesen habe."
- Peter Heilmann, 26. Oktober 2020


„Insgesamt finde ich den Roman in sich stimmig, spannend und unterhaltsam - und auch zu weitergehenden Gedanken anregend, ohne den moralischen Zeigefinger zu benutzen, sondern auf eine zum Teil heitere und zum Teil besinnliche Art und Weise.
Eine würdige Fortsetzung Deiner bisherigen Werke!!"
- Walter Haberl, Oktober, 2020


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© Copyright by Reinhard Staubach - Aktualisiert: Samstag, 20-Feb-2021