Leseproben
      
 
Schlüsselübergabe
aus

An der Hauptstraße angekommen, sah ich quer gegenüber ein quadratisches Gebäude, das ich als Rathaus einschätzte. Ich hatte mich nicht getäuscht. »Rathaus« stand in großen Lettern über dem Eingang. Nachdem ich die schwere Tür geöffnet hatte, befand ich mich in einem kühlen Hausflur. Direkt vor mir eine Tür mit der Aufschrift, »Bürgermeisteramt«. Ich trat ein.
    »Ah, da sind Sie ja endlich«, begrüßte mich eine bildschöne Frau um die dreißig, von ihrem Schreibtisch hinter dem Schalter aufblickend. »Ich dachte schon, Sie würden es nicht rechtzeitig schaffen. Am Freitag schließen wir nämlich etwas früher.«
    »Das Gewitter hielt mich auf.«
    »Sind Sie zu Fuß gekommen?«
    »Teilweise, das letzte Stück nahm Albert mich auf seinem Traktor mit.«
    »Ja, ja, der Albert, ich habe ihn vorhin gehört.«
    In Bellabeuren schien jeder jeden zu kennen. Ob die Dame hinter dem Schalter mich ebenfalls kannte, beziehungsweise meinen Zwillingsbruder, von früher? Wie auch immer, sie hatte mich erwartet. Obwohl, nicht verwunderlich, denn in diesem Rathaus kündigte sich gewiss nicht täglich ein Mönch an.
    »So, sie müssen hier dem Empfang des Hausschlüssels bestätigen.«
    Die Dame hatte sich von ihrem Stuhl erhoben und kam mit einem DIN A4 Blatt in der Hand auf mich zu. Verdamm! Unterschrift. Warum hatte ich nicht früher daran gedacht. Ich musste jetzt ja als Bruder Lazarus unterschreiben. Oder als Thomas Schütze? Was hatte in seinem Personalausweis gestanden, wie hatte er dort unterschrieben?
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte die bildhübsche Dame besorgt hinter dem Tresen. Offenbar bemerkte sie meine verzweifelte Miene.
    »Entschuldigung, aber ich müsste ganz schnell auf die Toilette. Bin gleich wieder da«, sagte ich spontan und drehte mich zur Tür um.
    »Erster Stock links«, rief sie mir hintendrein.
    Wie praktisch, so brauchte ich wenigstens nicht das ganze Rathaus nach dem stillen Örtchen absuchen. In der winzigen, sauberen Zelle kramte ich den Personalausweis aus der versteckten Tasche des Habits und setzte mich auf den Deckel über dem Keramiktopf. Eingehend studierte ich die Unterschrift des verstorbenen Zwillingsbruders. Noch eine Parallele: Die Schriftzüge glichen meiner Handschrift. Es sollte also kein Problem sein, den Namenszug zu kopieren. Ich riss ein Stück Toilettenpapier ab, legte es auf das rechte Knie und wollte darauf die Signatur üben. In der Tasche hatte ich einen Bleistiftstummel gefunden. Wer jemals probiert hat, mit einem Bleistift auf Klopapier zu schreiben, weiß um die Problematik. Drückte ich zu fest auf, riss das Papier. Versuchte ich es mit sanftem Andruck, hinterließ der Stift eine kaum sichtbare Spur. Nach einigen Versuchen gab ich auf und spülte das Übungsblatt hinunter.
    Mutig stieg ich die Treppen hinab und betrat wieder die Amtsstube. Es galt Würde auszustrahlen. Die Dame sah mich mit großen blauen Augen an, als erwarte sie einen Vollzugsbericht. Ich tat ihr den Gefallen.
    »Alles in Ordnung.«
    »Wunderbar, dann bitte hier unterschreiben. Und hier sind die Schlüssel.« Sie legte ein Lederetui auf den Tresen, aus dem einige Metallteile hervorlugten.
    »Wollen Sie gar nicht meinen Ausweis sehen?«, fragte ich und legte den Personalausweis neben das Empfangsdokument. So hatte ich die Originalsignatur im Blick, was mir das Kopieren erleichtern würde.
   »Oh, ich sah
Ihr Foto im Sprechzimmer der Frau Doktor und erkannte Sie sofort.«
   Ich lächelte und leistete die geforderte Unterschrift. Die bildhübsche Lady schien mich, also meinen Zwillingsbruder, nicht von früher zu kennen. Deshalb wurde ich etwas mutiger und hakte nach.
    »Seit wann leben Sie in Bellabeuren?«
    »Erst ein halbes Jahr. Ich hatte mich für die Bürostelle beworben und deshalb bin ich nun hier gelandet.«
Erst jetzt sah ich das Namensschild auf ihrem Schreibtisch: Melinda Knoll.
    »Und, fühlen Sie sich wohl in Bellabeuren, Melinda?«
    »Ich bin zufrieden«, sagte sie mit strahlend blauen Augen.
    Unsere Blicke trafen sich, hafteten aneinander und mochten sich nicht lösen. Flirtete sie mit mir? War das der Beginn einer neuen Liebe? Quatsch, beschimpfte ich mich innerlich. Du bist jetzt ein Mönch. Zölibat und so. Ich wich einen halben Schritt zurück, auch, weil ich fürchtete, sie würde riechen, dass ich mich heute noch nicht gewaschen hatte. Das Miniwaschbecken in der Rathaustoilette reichte vorhin nur, um die Fingerspitzen zu befeuchten. Unrasiert, mit ungeputzten Zähnen und keinen Happen im Bauch quetschte ich die Lippen aufeinander. Vermutlich stiegen bestialische Düfte aus meinem Magen auf.
    »Ist der Bürgermeister zu sprechen?«, fragte ich mit kaum geöffneten Mund.
    »Nein, der ist außer Haus. Nächstes Wochenende ist doch der große Angelwettbewerb. Da gibt es noch einiges zu regeln. Jedenfalls wollte er zum Anglerverein und kommt heute nicht mehr ins Büro.«
    »Am Telefon war der Bürgermeister nicht sehr ausführlich«, sagte ich, »als er mich über den Tod meiner Schwester informierte. Wissen Sie genaueres?«
    »Nur, dass ein junger Mann, der zu viel getrunken hatte, ihren Wagen mit seinem gerammt hat. Sie ist daraufhin ungebremst gegen den nächsten Baum gerast, mit etwa 100 Sachen. Totalschaden. Sie soll sofort tot gewesen sein. Dem jungen Mann ist angeblich nichts passiert. Er ist weiter gefahren und hat sich schlafen gelegt. Weil es keine Zeugen des Unfalls gab, fand die Polizei den Verursacher erst nach zwei Tagen. Er hatte sein Auto zwar in der Garage versteckt, aber Glassplitter vom Unfallort und Lackspuren führten zu ihm. Die Beulen an seinem Auto passten, und er war dann auch geständig. Behauptete allerdings, sich an nichts erinnern zu können. Er sitzt in Untersuchungshaft.«
    »Kannten Sie ihn? War er hier aus Bellabeuren?«
    »Nein, ich kenne ihn nicht. Er ist aus Hannover und war zu Besuch bei seiner Tante in Hasenlinde, etwa 25 Kilometer entfernt. Er hatte sich offenbar verfahren, denn Bellabeuren lag gar nicht auf seiner Strecke von der Disco nach Hasenlinde. Der Unfall ereignete sich vier Kilometer vor Bellabeuren.«
    »Wissen Sie, wo genau?«
    »Ja, auf der Bundesstraße, Richtung Osten. Die alte Kastanie ist nicht eingeknickt vom Aufprall. Aber der Stamm hat ordentlich was abbekommen. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen die Stelle zeigen.«
    »Das würden Sie tun?«
    »Aber sicher.«
    »Heute ist nicht der geeignete Tag. Aber ich komme gerne auf Ihr Angebot zurück.«
    Sie lächelte aufmunternd. Ich verabschiedete mich. An der Tür fiel mir mein am Straßenrand geparkter Kombi ein. Und ich wollte auch, dass man die Leiche meines Zwillingsbruders schnell fand. Deshalb drehte ich um und erzählte, dass ich auf der abgelegenen Straße, die nur einheimische kennen und benutzen, etwas Merkwürdiges gesehen hätte.
    »Da parkte ein neuer dunkelblauer Kombi, weit und breit kein Mensch zu sehen. Als ich vorbei ging, sehe ich, dass es unter dem Auto knochentrocken ist. Es hatte letzte Nacht doch so heftig geregnet und gestürmt. Überall nass und riesige Pfützen. Auf dem Auto lagen auch einige von den Bäumen abgerissene Blätter, die auf dem Lack klebten. Kurz, ich hatte den Eindruck, dass das Auto dort schon länger steht. Und, wie gesagt, keine Menschenseele weit und breit.«
    »War es abgeschlossen?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete ich. »Ich ging davon aus.«
    »Ja, seltsam. Ich werde die Polizei informieren. Die sehen gewiss nach. Dann bis Übermorgen.«
    »Übermorgen? Hatten wir schon einen Termin ausgemacht?«
    »Nein. Übermorgen ist Sonntag. In der Kirche.« Sie lächelte mir zu. Ein verdammt bezauberndes Lächeln.




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Leserstimmen:
»Also ich habe einen halben Tag und die Nacht zum Lesen gebraucht. Ich konnte nicht aufhalten. Unter welcher Kategorie lebt dieses Buch, ich meine ‚Liebeskrimiroman‘. Du hast es spannend, romatisch und mit Überraschungen gefüllt, also sehr gut gelungen.«
- Marianne Schmidt, 14. Jan. 2021

„... habe deinen spannenden Krimi fertig gelesen. Hat mir sehr gut gefallen.“
- Martina Mooren-Schneider, 13. November 2020

„Den Roman habe ich innerhalb von drei Tagen komplett von der ersten bis zur letzten Seite gelesen. Fand ihn echt gut, unterhaltsam und spannend.“
- Iris Halder, 29. Oktober 2020

„Ich konnte das Buch nicht mehr weglegen ... der beste Staubach, den ich bisher gelesen habe."
- Peter Heilmann, 26. Oktober 2020


„Insgesamt finde ich den Roman in sich stimmig, spannend und unterhaltsam - und auch zu weitergehenden Gedanken anregend, ohne den moralischen Zeigefinger zu benutzen, sondern auf eine zum Teil heitere und zum Teil besinnliche Art und Weise.
Eine würdige Fortsetzung Deiner bisherigen Werke!!"
- Walter Haberl, Oktober, 2020


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© Copyright by Reinhard Staubach - Aktualisiert: Freitag, 09-Aug-2024